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Predigt vom 16.9.2023 (Jesaja 43,4-5 und Joh. 6,1-15)

Liebe Schwestern und Brüder in unserem Herrn und Heiland Jesus Christus,

in einem kleinen Ort in Ostfriesland war vor zwei Jahren im August eine interessante Ausstellung zu sehen. Das war in Hooksiel im sogenannten “Künstlerhaus”, das eigentlich aus einem einzigen Raum besteht. In mehreren Vitrinen in der Mitte lagen Miniaturbilder, gemalt auf gebrauchte Teebeutel. Aus denen hatte die amerikanische Künstlerin Ruby Silvious die Teeblätter rausgeholt, hatte sie getrocknet und gebügelt. Die Bilder waren ganz realistisch bis in die winzigen Details. Auf einem Teebeutel waren vier schwarzbunte Holstein-Kühe im Vordergrund zu sehen und eine ganze Reihe weiter weg; auf einem anderen ein Teeservice. Und über vier Teebeutel nebeneinander hatte sie ein Panorama gemalt mit Dünen, einem Holzhaus und einem Meer von Wildblumen.

Das Material, das sie gewählt hatte, führte dazu, dass die Betrachter sich ganz dicht über einen Teebeutel beugten, um die Einzelheiten zu sehen. Dann ging der Kopf wieder hoch, sie gingen ein paar Schritte weiter und bückten sich über den nächsten.

Ich will heute mal mit Euch so durch die Predigt gehen. Angefangen von einem Ausschnitt aus der alttestamentlichen Lesung vom vergangenen Sonntag bis zur Lesung aus dem Evangelium heute, wo wir von der Vermehrung der Brote und Fische gehört haben.

Am letzten Sonntag ging es um die Taufe. Aus dem Alten Testament war dazu ein Abschnitt aus dem Buch Jesaja vorgesehen, wo Gott davon spricht, dass er sein Volk erlöst hat. Da heißt es im 43. Kapitel:

Ich bin der HERR, dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Kusch und Seba an deiner Statt, weil du in meinen Augen so wertgeachtet und auch herrlich bist und weil ich dich liebhabe. Ich gebe Menschen an deiner Statt und Völker für dein Leben. So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. (Jesaja 43,3-5)

Wenn man an diesem Ausschnitt einen Moment stehenbleibt, erkennt man eine Momentaufnahme aus der Geschichte des Nahen Ostens im 6. Jahrhundert vor der Geburt Christi. Der Großteil der Bevölkerung von Jerusalem ist in Gefangenschaft in Babylon. Der Prophet kündigt an, dass Gott sie “auslösen” wird. So, wie die Besatzung des deutschen Containerschiffs Hansa Stavanger, die 2009 nach einer Zahlung von 2,7 Millionen Dollar freikam, nachdem sie von somalischen Piraten entführt worden war.

Doch was gibt Gott als Lösegeld? Ägypten sagt er, führend in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, gefürchtet im Nahen Osten, wo Israel seit Jahrhunderten Spielball der Mittel- und Großmächte ist. Und Kusch und Seba, das heutige Äthiopien. Aber was heißt das, er gibt sie anstelle seines geliebten Volkes – anstelle von Juda?

Der Perserkönig Kyros der Große hat kurz darauf das getan, was im Jesajabuch angekündigt ist: Er hat das jüdische Volk in sein Land zurückkehren lassen. Und sein Sohn Kambyses hat die Großmacht Ägypten unterworfen. “Ich gebe Menschen an deiner Statt”, sagt Gott, “und Völker für dein Leben.” Fürchte dich nicht. Du warst unfrei, aber ich mache dich frei. Und für dich so übermächtig waren, werden selbst unfrei werden und das Fürchten lernen.

Da spricht Gott von sich so, wie am Anfang der 10 Gebote: “Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland geführt hat.” Oder zu uns als Christen: “Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus der Knechtschaft in der Sünde geführt hat.” Einer unserer Lehrer an der Hochschule, Prof. Günther, sprach deshalb vielmehr von den “Zehn-Worten”. Denn die fangen nicht mit einem Gebot an, sondern mit dem reinsten Evangelium. Mit der frohen Botschaft, dass Gott unser Erlöser ist.

Aber was heißt dieses “Erlösen”? Da geht mein Blick weiter zu einem zweiten Bild, das für mich dicht daneben liegt. Im Vordergrund sind drei Personen zu sehen. Da ist am Rand Naomi, die mit ihrem Mann Bethlehem verlassen hatte, weil es kaum noch etwas zu essen gab. Nach Moab waren sie gegangen, ihre beiden Söhne hatten geheiratet, alle drei Männer waren gestorben. Vor ihr steht im Bild ihre Schwiegertochter Ruth. Die wollte bei ihr und ihrem Gott bleiben. Und kommt so doppelt rechtlos in Bethlehem an als Fremde und als Witwe, wenn nicht Israel im Gesetz daran gebunden wäre, für das Recht gerade von solchen zu sorgen. Einen Schritt weg von ihr steht Boas, ein entfernter Verwandter ihrer Schwieger­mutter. Der hat sie gut behandelt. Und sie macht ihm auf subtile und doch nicht so subtile Weise klar, dass sie bei ihm das sucht, was sie zum Leben braucht. Er soll ihr “Löser” werden.

Es geht dabei offenbar um Land – in Israel immer das Erb-Teil, das in der Großfamilie bleiben muss. Hat Naomis Mann es mit einer Hypothek belastet, um ein bisschen Geld zu haben für den Weg ins Ausland, als sie nichts mehr zu beißen hatten? Dann müsste das jetzt jemand auslösen, damit die Frauen wieder eine Lebensgrundlage haben. Sie selbst können es nicht.

Doch es gibt einen, der ist vom Verwandtschaftsgrad näher dran als Boas. Der wäre vom Gesetz dazu verpflichtet. Boas ruft eine Ratssitzung ein, legt ihm dort die Sache vor. Das klingt gut für den – Vermehrung seines Erbteils für kleines Geld. Bis er erfährt, dass die Heirat mit der jungen Witwe dazugehört. Die könnte noch viele Kinder bekommen, dann würde sein schönes Land unter allen aufgeteilt werden. Vielleicht ist Ruth auch nicht sein Typ. Darum geht’s ja auch beim Heiraten. Er verzichtet.

Und ich denke, wie geschickt das ist. Boas fängt mit der Landfrage an. Die ist unumstritten. Und dann bringt er darüber die Ruth mit rein. Von der heute manche sagen würden, “die ist doch nur die Ex-Schwiegertochter von der Naomi.” Aber weil der Rat den ersten Teil akzeptiert hat, ist nun Ruth irgendwie selbstverständlich mit drin. Boas hat sie in den Schutz des israelitischen Rechtes hineingeholt. Genauso wie Gottes Zehn-Worte uns und unseren Nächsten schützen sollen, unsere Lebensgrundlage und unser Zusammenleben. Dabei hat Boas mit dem Gesetz nicht getrickst. Er hat es einfach liebevoll angewendet. Wie es von Gott gedacht ist. Für eine, die ihr Recht selbst nicht einfordern kann. Das ist Nächstenliebe. Oder bei Boas vielleicht auch schon mehr als Nächsten-Liebe?

Auf jeden Fall: der andere verzichtet. Er zieht eine Sandale aus und gibt sie Boas. Bei genauem Hinsehen ist es so, als ob ich sie in Boas’ Hand sehe. Aber warum diese Sache mit dem Schuh? Weil so alle seinen Verzicht mit den Augen sehen. Weil Boas so etwas in der Hand hat. Und (ich rate mal): vielleicht sagt er damit auch, wie man sonst sein Land mit den Füßen in Besitz nimmt, sollst du es an meiner Stelle in Besitz nehmen.

Deutlich wird auf jeden Fall: Erlösung ist eine Tat-Sache, sichtbar vor Zeugen zur Gewissheit für alle Beteiligten. Und nicht zuletzt zur Sicherheit von Ruth. Denn der öffentliche Akt schützt sie in Zukunft vor allem Zweifel von anderen und in ihr selbst. Und führt kurz danach ja dazu, dass Boas und sie heiraten. (Wenn die beiden ein modernes Paar wären, dann hätten sie vielleicht mit etwas Humor die Sandale im Wohnzimmer an die Wand gehängt. Oder im Schlafzimmer.)

Doch nun zieht mich dieses Bild zum nächsten hin. Da sehe ich nicht viel. Nur einen steinernen Futtertrog, wie für die Holsteinkühe vor zwei Generationen im Winterstall. Und ein Holzkreuz. Und ich denke: wir haben auch einen Erlöser. Auch bei uns geht es um eine Schuld, die auszulösen war – unsere Erbschuld, und unsere tägliche Sünde; letzte Woche, gestern, jetzt gerade. Es geht um unser Erb-Teil, das wir durch unsere Sünde verloren haben; unseren Platz bei der ewigen Hochzeitsfeier. Den uns Gott ganz unverdient zurückgekauft hat.

Dazu aber musste er mit uns verwandt werden. Nicht so, wie Philosophen sagen, irgendwie steckt in uns Menschen etwas Göttliches. Sondern buchstäblich, durch seine Geburt. Das ist geschehen, in dem Ort, in dem Ruth zur Ur-Ur-Ur...-Großmutter Jesu geworden ist, in Bethlehem. Allerdings hat man ihm umgekehrt am Ende die Sandalen und sein letztes Hemd weggenommen und damit gesagt, der hat keinen Teil mehr an diesem Leben, und an Gottes Reich.

Er aber will nichts lieber als ganz viele Nachkommen haben, und sein Erbe, seine Gerechtigkeit, sein ewiges Leben mit ganz vielen teilen.

Warum? Noch einmal gehe ich zurück zu Ruth. Ein Ausleger weist uns darauf hin, dass wir nichts davon lesen, warum Boas sie haben wollte. War sie besonders attraktiv? Konnte sie schön singen? Waren es ihre dunklen Augen?

Ich glaube, es liegt ein Sinn in den “Lücken”, die wir im Wort Gottes haben. Wir sollen nicht alles erfahren. Sondern das, was zu unserem Heil nötig ist. Und da lohnt es, noch einmal dicht auf Boas zu gucken. Denn zwischen den Zeilen erfahren wir: Er nimmt Gottes Gebot ernst. Nicht zuerst als Zurechtweisung oder Druckmittel, sondern als Hilfe zum Leben und Zusammenleben. Er ist aufrecht und zuverlässig. Er denkt nicht zuerst an sich. Konnte Ruth so einem Mann trotz der verschiedenen Herkunft vertrauen? So sehr, dass sie ihn liebgewinnen konnte?

Und jetzt stehe ich wieder vor der Krippe und dem Kreuz. Es gibt keinen zweiten, der uns erlöst. Es gibt bei Gott keinen Grund, dass er uns so liebhat. Er gibt ja nicht Völker an unserer Statt und für unser Leben auf, sondern seinen einzigen Sohn und dessen Leben. Es gibt keinen Grund für seine Liebe als – seine Liebe. Und die sehen wir darin, dass sein Sohn das Gesetz ganz hält. Für uns. Seine Liebe aber ist eine Tatsache. Dafür gibt es viele Zeugen. Die haben wir als Propheten im Alten Testament, als Evangelisten und Apostel im Neuen, und in den vielen Gläubigen in der heiligen Schrift und bis heute. Und das ist öffentlich in jedem Gottesdienst. Uns zur Gewissheit und zum Schutz, gegen alle Zweifel von innen und von außen.

Bis dahin aber sorgt er für uns wie Boas für Ruth gesorgt hat. Und das ist das vierte und letzte Bild, an das wir jetzt noch einmal dicht herantreten, das mit der Brotvermehrung aus dem Johannesevangelium. Nach Bethlehem ist Ruth ja gekommen, weil sie bei dem Gott bleiben wollte, den sie in ihrer Schwiegerfamilie in den Andachten kennengelernt hat, und in vielen Gesprächen am Rand. In der Küche, bei Familienfeiern, unterwegs. Und nun erfährt sie durch Boas, dass Gott die Rechtlosen versorgt. Sie kann auf seinem Feld nach der Ernte Nachlese halten. Die Ähren auflesen, die die Schnitter liegenlassen haben. Er schützt sie vor ihren blöden Sprüchen und vor Übergriffen und davor, dass sie sie vergraulen. Und schüttet ihr am Abend noch ein volles Maß Getreide in die Schürze zum Mitnehmen. Sie bekommt von ihm das tägliche Brot für sich und ihre Schwiegermutter, und mehr, als sie mit ihrer eigenen Arbeit schaffen kann.

Gott sorgt für ihr Leben. Und für das von den 5000 Männern plus ihren Frauen und Kindern, die Jesus auf dem Berg zuhören, als er von dem himmlischen Vater spricht, von dem Hunger nach Leben, von sich selbst, der diesen Hunger stillt. Und er meint nicht nur das “Jenseits”, wo einmal alles besser sein wird. Er hört, wie um ihn herum die Mägen knurren. Er hat den Jungen mit den 5 Fladenbroten und 2 Fischen längst gesehen, als die Jünger noch suchen, ob es irgendwo wenigstens ein bisschen zu essen gibt. Er dankt Gott für das bisschen, das da ist, und vermehrt es. Von dem, wofür sie gearbeitet haben, wären an dem Abend nur ganz wenige satt geworden. Gott füllt auf, was ihnen fehlt, und macht sie alle satt.

Wer durch die Ausstellung in Hooksiel gegangen ist und sich später daran erinnert, sieht wahrscheinlich die Tee­beutelbilder zusammen vor seinem inneren Auge. So sehe ich am Ende dieser Predigt in diesen beiden Sonntagen zusammen das ganze große Bild der Liebe Gottes zu uns. Von Anfang bis Ende. Ich sehe, was es heißt, dass er unser Löser, unser Erlöser ist: Er bezahlt für unsere Schuld. Er nimmt uns in seinen Schutz, die wir kein Recht darauf haben. Er zeigt uns, dass das Gesetz eine Lebens-Ordnung ist, an die wir uns zum Wohl der anderen und zu unserem eigenen halten sollen. Dem kannst du vertrauen wie Ruth dem Boas. Der wird deine Liebe zu ihm nicht enttäuschen. Er sorgt für unser tägliches Brot und kann dabei auch die, vor denen wir uns machtlos fühlen, absetzen und klein machen. Er ist selbst unser Brot des Lebens. Vom ersten Schritt aus der Taufe, an jedem Schritt unterwegs im heiligen Abendmahl, und bis wir einmal unter unseren eigenen Füßen die herrliche, himmlische Heimat spüren werden. In Sommersandalen. Denn da wird unser Leben ewig grünen. Amen.

(Daniel Schmidt, P., Groß Oesingen)

Taufansprache aus Josua 1

 

Sei getrost und unverzagt!
Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht! denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.

 

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Matthäus 13, 44-46

 

Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker. Wiederum gleicht das Himmelreich einem Kaufmann, der gute Perlen suchte, und als er eine kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte sie.
(Matthäus 13, 44-46)

 

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