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- Erstellungsdatum 29. Januar 2017
- Zuletzt aktualisiert 3. Februar 2017
Predigt vom 29.1.2017 (Matth. 14-22-33)
Und alsbald trieb Jesus seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe. Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein. Und das Boot war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.
Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem See. Und als ihn die Jünger sahen auf dem See gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!
Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir! Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?
Und sie traten in das Boot und der Wind legte sich. Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!
Liebe Gemeinde,
Jesus hilft Menschen in Notsituationen, in denen sie sich selbst nicht helfen können. Das könnte die Überschrift sein über den Predigtlesungen, die für die Sonntage bis zum 5. Februar dieses Jahr vorgesehen sind, die erweiterte Weih nachtszeit, oder, wie sie in der Kirche genannt wird, die Epiphaniaszeit. Dabei handelt Jesus nie nur symbolisch. Denn das wäre so, als ob man den Menschen, die nach der Schneelawine in Farindola in Italien im Hotel eingeschlossen waren, aufs Handy ein Bild von Wolldecken und einer warmen Mahlzeit geschickt hätte. Oder den Jüngern im Sturm ein Bild von der blauen Adria, mit klarem Wasser und bestem Badewetter. Jesus macht den Menschen auch nicht nur Mut, damit sie etwas länger durchhalten, bis von selbst irgendwie eine Lösung kommt. Nein, er hilft echten Menschen in echter Not. Und er hilft ihnen so, dass es dafür nur eine Erklärung gibt: Gott ist in die Welt gekommen. In seiner Person. Um uns von allen Mächten freizumachen, die uns bedrohen.
Es geht also zuerst um die Menschen, die in den Berichten vorkommen. Die ersten Leser der Evangelien wussten, man konnte mit einigem Herumfragen noch Menschen finden, die dabei gewesen waren. Und in diesem Fall sind's die Apostel selbst, die so ein Wunder erleben, und der Evangelist Matthäus ist einer von ihnen. Es geht also zunächst mal nicht um uns – ich bin keiner der 12 Jünger, und ich war noch nie in einem Sturm auf dem See Genezareth. Ich war noch nie in Israel.
Aber eins verbindet uns doch mit dem, was Matthäus uns hier berichtet. Denn so wie Gott mit den Menschen umgeht, von denen wir in der heiligen Schrift lesen, so geht er auch mit uns um. Und wie die 12 Söhne Jakobs im Alten Testament die Stammväter des Volkes Israel wurden, des von Gott erwählten Volkes, so werden die 12 Apostel die Stammväter der Kirche. Und in der Kirche verbindet die Erfah rung, die sie an dem Tag auf dem See Genezareth gemacht haben, uns mit ihnen. Die lässt sich nämlich ganz einfach zusammenfassen in zwei Sätzen:
- Hilfe, mein Christus ist weg.
- Hilfe, mein Glaube ist weg.
Die Jünger sind ohne Christus unterwegs. Im Boot auf dem See. Zunächst geht das ganz gut. So wie es uns ganz gut gehen kann, wenn wir im Alltag alles mögliche zu tun haben, wenn wir deshalb wenig an ihn denken, wenn vielleicht auch manchmal das Gefühl da ist, die Alltagswelt ist irgendwie eine andere als die, in der wir in der Kirche sind.
Vielleicht wirkt auch das Erlebnis vom vergangenen Tag bei den Jüngern noch nach. Mit ganz wenig Lebensmitteln hat Jesus Tausende von Menschen satt gemacht. Die Jünger standen dabei, als er die paar Brote und Fische in die Hand nahm, nach oben sah zum Vater im Himmel und ihm dafür dankte, als wäre das genug für so viele. Und sie waren daran beteiligt, haben die Leute sich hinsetzen lassen in Gruppen, sind hin- und hergelaufen mit dem Essen – und es war genug für so viele! Und dann hat er sie alle entlassen wie wir entlassen werden am Ende des Gottesdienstes. Und hat die Jünger im Boot über den See geschickt.
Und hat sie damit in diese Situation geschickt. Das Wasser färbt sich dunkel von den dunklen Wolken am Himmel, der Wind wird zum Sturm, die Wellen schlagen immer höher. Dass vier von ihnen Fischer sind, dass dieser See ihr alltäglicher Arbeitsplatz ist, macht es nicht besser. Denn sie kennen diese Wetterlage, wenn sich an den Bergen um den See Genezareth plötzlich Fallwinde zusammenziehen und auf den See treffen. Sie können kein Notsignal senden, sie haben keine Rettungswesten, es gibt keine Rettungsschiffe auf dem See, sie können nur noch das tun, was sie sowieso schon tun (so wie wir vielleicht, wenn uns alles zuviel wird, wenn wir nicht mehr weiterwissen und uns nicht mehr helfen können): weitermachen, mit aller Kraft. Und mit immer weniger Hoffnung. Denn die Richtung ist schon fast egal, das Ufer können sie sowieso höchstens für einen Augenblick ahnen, wenn gerade ein Blitz aufleuchtet. Autofahrer kennen vielleicht das Gefühl, wenn die Straße plötzlich total vereist ist – und Motorradfahrer erst recht: Die Kraftanspannung, bis die Arme weh tun, und die völlige Machtlosigkeit. Man hat kaum noch Einfluss auf die Richtung und die Geschwindigkeit.
Und dann bei den Jüngern der Gedanke: Wären wir doch bei Christus geblieben, auf der anderen Seite des Sees. Aber er hat uns ja weggeschickt! Wäre er doch nur mit uns mitgekommen. Aber er ist ja dort geblieben. Wäre er doch nur hier. Aber er hat ja kein Boot. Und könnte es allein auch gar nicht steuern bei dem Wetter.
So dicht, liebe Gemeinde, liegt das für die Junger beieinander: Dieses große Wunder, dieses Erlebnis mit Tausenden von Menschen, die die Macht Jesu erfahren, und das Gefühl, mit Jesus geht's mir gut, jetzt wird alles gut. Und nur Stunden später solche Verzweiflung: Unser Christus ist weg!
So sieht's aus, aus der Sicht der Jünger. Aber es gibt noch eine zweite Sicht in diesem Bericht. Vielleicht kennst du diese 3-D-Postkarten. Wenn man gerade draufguckt, sieht man ein Bild. Und wenn man die Karte dann ein bisschen kippt, sieht man ein zweites, etwas anderes. Matthäus war als Jünger dabei im Boot. Aber als er nach der Auferstehung Jesu diesen Bericht aufgeschrieben hat für die Gemeinden, da merkt man: Er zeigt uns eine zweite Perspektive. Er selbst hat sie erst gesehen, als Christus ihnen aus dieser Not herausgeholfen hat. Aber er will, dass wir das jetzt sehen, in unserer Not, mit der manche von uns heute hierhergekommen sind, und vor solcher Not.
Nehmen wir dieses Bild deshalb noch einmal in die Hand und kippen es ein bisschen. Da heißt es am Anfang, “Jesus trieb seine Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm hinüberzufahren, bis er das Volk gehen ließe.” Sie sind's nicht, die die Menschen alle zusammenhalten müssen nach diesem großen “Event” und dafür sorgen müssen, dass sie alle weiter Jesus nachfolgen. Ihre Aufgabe für diesen Tag ist getan und sie sollen schon mal losfahren über den See. Jesus gibt ihnen eine Pause von der Menschenmenge, die ohne Ende von ihm und auch von ihnen etwas will.
Und dann das nächste, was in diesem zweiten Bild zu sehen ist: “Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Und am Abend war er dort allein.” Jesus tut das, was er regelmäßig tut: Er sucht Zeit allein mit dem Vater im Himmel. Zeit zum Gespräch mit ihm, zum Beten. Und wir wissen aus anderen Stellen, wofür er betet: Für sein eigenes Werk. Gegen das Böse, ja gegen den Bösen, der seinen Willen brechen und hindern will. Und für die, die durch sein Wort an ihn glauben, zuerst die Jünger, und auch die vielen anderen.
Merkst du etwas? Sie denken, sie sind ganz auf sich allein gestellt. Ihr Christus ist weg. Aber was tut er? Er betet für sie. Vielleicht kann er von oben am Berg ihr Boot noch sehen, bis die Sonne untergeht, aber darauf kommt es nicht an. Er sieht ihre Not, wie er jede menschliche Not sieht, und er sieht schon, wie und wann er helfen wird. War's nicht an dem Tag genauso gewesen? Als die Menschen am Abend hungrig waren, wollten die Jünger sie entlassen, mehr konnten sie ja nicht tun. Und Jesus sagt: “Gebt ihr ihnen zu essen.” Sie haben schon herumgefragt, wie viel an Essen überhaupt da ist, und das Ergebnis ist ernüchternd: fünf Fladenbrote und zwei Fische. Johannes sagt uns, dass Jesus die Jünger damit prüfen wollte, “denn er wusste wohl, was er tun wollte.” (Jh 6,6).
Und er weiß auch jetzt in dem Sturm, in den sie geraten sind, was er tun will. Er kommt zu ihnen, als die Not am größten ist. Auf eine Weise, wie Menschen es nicht können und auch nicht erklären können. Sie bekommen es gar nicht gleich mit, so verzweifelt sind sie – auch das kommt bei uns vor! Ja, sie glauben sogar, sie sehen ein Gespenst. Wenn wir in Afrika diesen Bericht gemeinsam gelesen haben, dann war sofort der Gedanke an Geister da, furchtbare Erscheinungen, von denen einige erzählen konnten, und das hieß in der Tswana-Sprache “sepuku” – von unserm Wort S-puk. Die Jünger sind so verzweifelt, sie sehen Jesus und denken an einen Spuk. Man spürt förmlich, wie die Angst über den Rücken schießt. Das kann nur heißen, dass es jetzt aus ist.
Aber er ist kein Spuk. Jesus redet sie an. Sein Wort nimmt ihnen die Furcht. Und die Verzweiflung weicht langsam dem Glauben: Christus ist bei ihnen. Sie sind gerettet.
Und dieser Glaube macht aus Petrus in kürzester Zeit einen neuen Menschen. Er lässt sich von Jesus rufen – er weiß, er selbst könnte nie über das Wasser laufen –, dann steigt er aus dem Boot und geht über das Wasser, auf den Herrn zu.
Doch plötzlich greift der Zweifel zum zweiten Mal nach ihm. Der Wind und die Wellen scheinen auf einmal viel wirklicher als das Wort Christi, als seine Gegen wart, die er ja doch nicht fühlen kann. Und er geht unter. Es passiert das, womit jeder Fischer rechnen muss: Er sinkt ins Wasser, ins kühle Grab.
Auch hier sagen wir wieder, liebe Schwestern und Brüder, wir sind nicht Petrus. Wir sind nicht am Ertrinken, wir sitzen hier ruhig und im Trockenen auf unseren Bänken und Stühlen. Aber die Erfahrung, die Petrus jetzt macht, kennen wir wohl auch. Eben noch schien alles möglich. Und mit einem Mal ist der Glaube weg. Das Herz leer, wie bei einem, der nie an Christus geglaubt hat. Schlimmer noch: Wie bei einem, der einen Schock erlebt, als ob sein ganzer Glaube bisher umsonst war.
Aber der Glaube ist nicht nur ein Hochgefühl in der Seele. Er ist gar nicht zuerst der Blick auf mich selbst, wie's da drin bei mir aussieht. Er ist die Stimme des heiligen Geistes im Herzen. Der in uns Ja sagt zu dem, was Gottes Wort sagt. Und der jetzt mit dieser Stimme aus Petrus herausschreit: “Herr, hilf mir!”
Da kannst du sehen, was Matthäus uns zeigen will: Das erste Wunder ist, dass viele Tausende das bekommen, was sie täglich zum Leben brauchen. Das größere Wunder ist, dass Jesus um seine Jünger herum allen Mächten ihre Grenzen setzt, die sie bedrohen. Und das größte Wunder ist, dass er den einzelnen, der zu ihm kommt und dann doch im Zweifel versinkt, nicht untergehen lässt. Dass er ihn herauszieht. Und dazu brauchen wir nichts zu tun und können nichts tun. Wenn's dir so geht wie Petrus, dann schrei einfach: “Herr, hilf mir!” Wenn du andere in solcher Not siehst, dann schrei für sie in deinen Gebeten. Und hör auf sein Wort. Das rettet dich. Denn ob du's fühlst oder nicht, ja, ob du's glaubst oder nicht, hier ist Christus. Hier im Gottesdienst holt er dich immer wieder hinein ins Boot der Kirche. Und das ist genug Grund, auch andere hierher einzuladen, auch wenn es vieles in der Kirche und Gemeinde gibt, auf das niemand von uns stolz sein kann – Schritte des Glaubens zu gehen, Gott zuzutrauen, dass er Herzen verändern kann.
Wundere dich also nicht, wenn du selbst Zweifel erlebst. Denn der gehört tatsächlich zum Glauben dazu. Der alte Mensch steckt immer noch in uns drin, der sucht die Rettung bei sich selber, der kann sich auch ganz fromm geben und sagen: Ich glaube an Gott, ich kenne keine Angst und keinen Zweifel mehr! Dieser alte Mensch muss immer wieder untergehen. Er “muss”, genauso wie keiner sich an den eigenen Haaren aus dem Wasser ziehen kann. Er “muss” aber auch geistlich gesprochen, weil Christus dann, wenn dem alten Menschen in uns alles Vertrauen auf sich selbst aus der Hand rutscht, den neuen Menschen aus dem Zweifel und Kleinglauben herausziehen will. Den neuen Menschen, der allein auf ihn schaut. Den neuen Menschen, der wie die Jünger spricht, als Jesus und Petrus in das Boot gestiegen sind und der Wind sich legt: „Du bist wahrhaftig Gottes Sohn. Du hilfst, wie kein Mensch helfen kann!“ Lasst uns beten:
Herr, hilf mir, so zu glauben. Wie oft denke ich, dass etwas nicht möglich ist. Lass mich lernen, dir ganz zu vertrauen. Lass mich nicht aufhören, um das Wunder zu beten, dass du da hilfst, wo kein Menschen helfen kann, für mich und für die, für die ich bete. Vor allem aber will ich dich bitten, dass dein Wille geschehe, denn dann hat das Böse keine Macht gegen uns. Amen.
- Sonntag nach Epiphanias (Predigtreihe III)
Daniel Schmidt, P.